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Erklärung zur Rundverfügung des sächsischen Generalstaatsanwalts zu Verfahrenseinstellungen

Der Populismus ist jetzt auch bei der sächsischen Justiz angekommen.

In einer Pressemitteilung des sächsischen Justizministeriums vom 14.02.2019 heißt es, der Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsen habe eine Rundverfügung erlassen, die am 01.03.2019 in Kraft treten soll. Danach soll zukünftig auch in Strafverfahren wegen Bagatelldelikten Anklage erhoben werden. Einstellungen sollen nur noch sehr eingeschränkt erfolgen. Der Generalstaatsanwalt wird mit den Worten zitiert, dass es rechtsfreie Räume in Sachsen nicht gebe; auch Straftaten mit geringen Schäden seien Straftaten, die in ganz Sachsen gleichermaßen konsequent verfolgt und geahndet würden. Das ist die Botschaft, um – wie der sächsische Justizminister sagt – das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit zu stärken und die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats zu demonstrieren. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen sollen in der Justiz 30 neue Stellen geschaffen werden, neun für Staatsanwälte, fünf für Strafrichter und 16 für Rechtspflege und Geschäftsstellenpersonal.

Die Strafverteidigervereinigung Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V. bedauert, dass in Zeiten nicht etwa steigender, sondern zurückgehender Kriminalität, die sächsische Justiz auf den Zug der Populisten aufspringen soll, die ohne irgendeine belastbare tatsächliche Grundlage behaupten, dass der Rechtsstaat nicht funktioniert. Es gibt auch bisher keine rechtsfreien Räume, weder in Sachsen noch sonstwo in Deutschland. Wer gleichwohl meint, dies öffentlichkeitswirksam demonstrieren zu müssen, um das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit zu stärken, offenbart auf fatale Weise, dass es nicht um Recht und Gerechtigkeit geht, sondern um Gefühle, die in Wahlkampfzeiten besonders wichtig zu sein scheinen.

Das geltende Strafverfahrensrecht kennt aus gutem Grund nicht nur schwarz und weiß, Verurteilung oder Freispruch. Die vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten, bei fortbestehendem Verdacht einer Straftat in bestimmten Fällen von der weiteren Fortsetzung des Strafverfahrens abzusehen und dieses einzustellen, sind aus Sicht der Strafverteidigervereinigung Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V. ausgewogen und ermöglichen sachgerechte Ergebnisse. Wir können nicht erkennen, wie das Vertrauen in den Rechtsstaat Schaden nehmen kann, wenn bei Bagatelldelikten von den gesetzlichen Einstellungsmöglichkeiten – ob mit oder ohne Auflage – großzügig Gebrauch gemacht wird. Wenn das geltende Recht, auch das Strafverfahrensrecht, von den Gerichten und Staatsanwaltschaften angewandt wird, kann schwerlich die Rede davon sein, dass der Rechtsstaat versagt.

Es war die Entscheidung des Bundesgesetzgebers, ausdrücklich zuzulassen, dass Strafverfahren bei einer geringen Schuld eines Täters eingestellt werden können. Verfahrenseinstellungen sind ohnehin nur bei Vergehen und auch nur dann zulässig, wenn die Schuld als gering anzusehen wäre und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht entgegensteht oder durch geeignete Auflagen beseitigt werden kann. Die Rundverfügung eines Generalstaatsanwalts, Verfahrenseinstellungen bei Bagatelldelikten grundsätzlich – „nur noch sehr eingeschränkt“ – nicht mehr zuzulassen, kommt einer tatbestandlichen Einschränkung geltender Verfahrensvorschriften gleich, die Sache des Gesetzgebers, nicht der Judikative und schon gar nicht eines Generalstaatsanwalts wäre. Für ein sächsisches Sonderrecht gibt es aus Sicht der Strafverteidigervereinigung Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V. noch nicht einmal ein Bedürfnis, geschweige denn eine Legitimation.

Die Justiz klagt allenthalben, sie sei überlastet. Nicht nur komplizierte Wirtschaftsstrafverfahren mit zum Teil ganz erheblichen Schäden, sondern auch ganz alltägliche Strafverfahren dauerten zum Teil Jahre, weil der Justiz die Ressourcen fehlen. Untersuchungsgefangene müssen trotz des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für die Untersuchungshaft aus dieser entlassen werden, weil die Justiz nicht in der Lage ist, dem Gebot besonderer Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen gerecht zu werden.

Es ist uns absolut unverständlich, in einer solchen Situation ausgerechnet die stärkere Verfolgung von Bagatellkriminalität voranzutreiben. Sofern in der Justiz zusätzliche Stellen geschaffen werden, sollten diese für wichtigere Aufgaben Verwendung finden.

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